Leseprobe
… »Es war einmal ein Krankenhaus am Rande des Wahnsinns.« Mit diesem Satz begann unser Professor Dr. Eilenstein jedes Mal seine Vorlesung, und gespannt schenkten alle Studenten der Medizin ihm ihre volle Aufmerksamkeit.So lange ich denken konnte, hatte ich davon geträumt, Ärztin zu werden. Einmal im Jahr lud er einen seiner Studenten ein, ihn in den Semesterferien nach Peru zu begleiten. Seit vielen Jahren unterstützte er dort ein Krankenhaus in Curahuasi, dass ihm sehr am Herzen lag. Dieses Land faszinierte mich, seit ich vor zwei Jahren an dem Vortrag eines Studenten teilgenommen hatte, der mit dem Professor nach Peru geflogen war. Voller Begeisterung hatte er uns von den Menschen und ihrer Lebensphilosophie erzählt, von Mythen und den Legenden der Inkas. Ich würde wohl nie den Moment vergessen, als ich voller Faszination auf das Foto von Machu Picchu gestarrt hatte, der alten Ruinenstadt der Inkas, die auf einer Bergspitze in Peru lag. Ich konnte kaum atmen, und ein unerklärliches Gefühl von Angst, Sehnsucht und Glück zugleich hatte mich gefangen genommen. Es kam mir so vor, als wäre ich schon einmal dort gewesen. Als hätte ich die Ruinen schon einmal mit eigenen Augen gesehen, den Boden darunter gespürt und die klare Bergluft geatmet. …
***
… Als wir durch die große Eingangstür nach draußen traten, umfing uns eine warme angenehme Briese. Ich sog die Luft dieses wunderbaren Landes tief in mich hinein. Ich griff nach dem Medaillon, hielt es fest und schloss kurz die Augen. Was würde das Schicksal wohl für mich bereithalten, und was würde ich hier erleben? Als eine Stimme mich aus meinen Gedanken riss, öffnete ich blitzartig meine Augen. Vor uns stand ein junger Mann mit einem unfassbar strahlenden Lächeln. »Hallo, schön, dich kennenzulernen. Wie war noch gleich dein Name?«, fragte er mich und schmunzelte ganz offensichtlich. Mein Name? Wie, mein Name? Ich war nicht in der Lage klar zu denken, aber dass ich sogar meinen Namen vergaß, gab mir den Rest. Boden tue dich auf und lass mich darin versinken, schoss es mir durch den Kopf. Wer konnte denn ahnen, dass mir hier am Ende der Welt Mr. Perfect persönlich begegnen würde. »Und, David, was ist mit dir? Woher kommst du, und was hat dich hierher verschlagen?«, fragte mein Professor neugierig. David erzählte von seinem Bruder Marc, der bereits seit drei Jahren als Arzt in Curahuasi arbeitete und wie er, aus Hamburg käme. »Und was hast du für eine Ausbildung?« »Ich studiere Theologie in München und mache nun hier ein Auslandspraktikum.« Erstaunt musterte mein Professor ihn. »Willst du etwa Priester werden?« Schockiert über das, was ich gerade gehört hatte, lehnte ich mich zurück. Wie konnte so ein Wahnsinnstyp nur Priester werden wollen? In meinen Augen war es eine absolute Vergeudung. Er sprühte vor Männlichkeit. Und wie er einen mit seinen grünen Augen anblicken konnte! …
***
… An den meisten Tagen traf ich mich mit David zum Mittag in der Cafeteria. Als wir einmal auf das Thema Frauen kamen, erzählte er mir frei und offen, dass er vor seinem Studium schon Erfahrungen mit Frauen gemacht hatte. Die Glücklichen, dachte ich neidisch, während ich auf seine vollen Lippen starrte. Schnell riss ich mich wieder los und hörte ihm weiter zu. »Weißt du, Emilia, das Begehren und die körperliche Vereinigung ist nicht alles, was einen Menschen glücklich machen kann. Da gibt es noch so vieles mehr. Das ist nur ein ganz kleiner Teil davon. Ich habe diesen Teil kennengelernt, und das ist in Ordnung. Allerdings war es nicht so spektakulär, dass ich ein Problem darin sehe, in Zukunft darauf zu verzichten.« Um ihn aufzuziehen, blickte ich ihn verführerisch an. »Bist du dir da vollkommen sicher, Pater David?« Sein Blick nahm mich gefangen, und es entging mir nicht, wie er damit mal wieder mein Herz schneller klopfen ließ. Da war es wieder, dieses Knistern. Was tat ich hier eigentlich? David schüttelte lachend den Kopf. »Ich muss sagen, Emilia, du bist wirklich mutig, einen Priester auf diese Art und Weise herauszufordern.« »So viel ich weiß, bist du aber noch keiner, also was soll’s, lass mir meinen Spaß! Oder meinst du, das wirft ein schlechtes Bild auf mich bei dem da oben?«, witzelte ich. »Bei dem da oben? Seltsam, so eine Bezeichnung für Gott höre ich zum ersten Mal. Du hast es nicht so mit ihm, oder?« »Nun, das würde ich nicht sagen, schließlich bin ich gläubig erzogen worden. Man könnte es eher so beschreiben, ich habe eine andere Sichtweise als du.« »Interessant, Emilia. Ich würde gerne mehr darüber erfahren.« Ich liebte es, wenn er meinen Namen sagte, und während ich ihn weiterhin anhimmelte, stand plötzlich Marc an unserem Tisch. Sein Blick versprach nichts Gutes. »Emilia, du bist doch nicht etwa gerade dabei, mit meinem kleinen Bruder zu flirten, oder?«, spottete er. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss und ich prompt rot wurde. Verdammt …
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… Als ich schließlich meine Augen öffnete, stand David vor mir und lächelte. Etwas peinlich berührt, lächelte ich verlegen zurück. Keiner von uns sagte ein Wort. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, der in mir wieder dieses unbeschreibliche Gefühl auslöste. Wärme durchströmte meinen Körper, und ich fühlte mich wie hypnotisiert durch das funkelnde Smaragdgrün seiner Augen. Ich konnte förmlich die Anziehungskraft zwischen uns spüren. Mein Herz klopfte immer schneller vor Aufregung. Wie schaffte er es nur, mich in so kurzer Zeit in diesen Zustand zu versetzen? Plötzlich und ohne Vorwarnung trennten sich unsere Blicke, und er lief zügig Richtung Ausgang. Was war nur in ihn gefahren? Schnell stand ich auf und eilte ihm hinterher. Draußen holte ich ihn schließlich ein. »David«, keuchte ich, während er weiterlief. »Warum hast du es denn plötzlich so eilig, habe ich etwas falsch gemacht? Du tust ja gerade so, als sei der Teufel hinter dir her?« Abrupt blieb er stehen und blickte mich ernst an. »Ja, das ist er auch!« Ich schaute ihn groß an. »Wie soll ich das verstehen? Das meinst du doch nicht etwa ernst, oder?« Er antwortete nicht, aber in seinem Gesicht konnte ich erkennen, wie ernst es ihm war. …
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