Eine Geschichte wie ein Sturm auf dem Meer.
Man weiß nie, wohin er uns treibt und wann sich die Wogen glätten, doch die Hoffnung kommt mit jeder einzelnen Welle zu uns zurück.
Es bleibt noch immer Norderney, denkt sich Romy. Weiße Dünen und Meeresrauschen – das ist genau das, was sie jetzt braucht, um endlich wieder durchatmen zu können.
Doch als sie dem attraktiven Jakob begegnet, ist es mit der Ruhe vorbei. Grund dafür ist nicht nur seine charmante Art, der Romy schlecht widerstehen kann, sondern ebenso ein siebzig Jahre alter Brief, der eines Tages unverhofft in den Briefkasten ihrer Ferienunterkunft flattert. Als wenig später weitere Briefe auftauchen, wissen Romy und Jakob, dass sie den Schlüssel zu einem Geheimnis in den Händen halten, das all die Jahre im Verborgenen geschlummert hat.
Was haben die beiden Freundinnen aus den Briefen mit Norderney zu tun, und wer ist der Mann, der die blau-weißen Fliesen in der alten Mühle angebracht hat? Jakob und Romy stoßen auf ein dunkles Kapitel aus der Vergangenheit, das ihnen unter die Haut geht und ihr eigenes Leben für immer verändert.
Was hat mich inspiriert?
Was bedeutet eigentlich wahre Freundschaft? Diese Frage habe ich mir schon sehr oft gestellt. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen und Erwartungen. Wie weit jedoch würde man gehen, um Freunden zu helfen? Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Es heißt, in der Not erkennt man die wahren Freunde. Doch ist das wirklich so? Vielleicht ist ja nicht jeder so mutig wie Marianne, um für den anderen alles zu tun. Aber das bedeutet doch nicht, dass es keine wahren Freunde sind, oder? Meiner Meinung nach liegt es immer an der Erwartungshaltung, die man Freunden gegenüber hat. Doch wie unterschiedlich sie auch sind, wir nennen sie Freunde, und damit haben sie einen Platz in unseren Herzen.
Es gibt noch etwas, das mich bewegt hat, dieses Buch zu schreiben. Als ich vor zwei Jahren für einen anderen Roman recherchierte, stieß ich auf ein Thema aus dem 2. Weltkrieg, von dem ich noch nie gehört hatte. Ich fragte Freunde und meine Familie danach, doch auch sie hatten noch nie zuvor von einem Lagerbordell gehört. Diese Bordelle wurden zwischen 1942 und 1945 in zehn NS-Konzentrationslagern eingerichtet und sollten männlichen Häftlingen als Anreiz zur Mehrarbeit dienen. Etwa 200 Frauen mussten dort unter Zwang arbeiten, um zu überleben. Nach dem Ende des Krieges wurde die Existenz dieser Bordelle unter den Teppich gekehrt, um die Konzentrationslager nicht in ein falsches Licht zu rücken. Zudem behielten die betroffenen Frauen diese schlimme Zeit für sich, um nicht stigmatisiert und verachtet zu werden. Es gibt nur wenige von ihnen, die darüber in Dokumentationen berichten. Bis 1990 galten diese Frauen nicht als Opfer des Nationalsozialismus und erhielten somit niemals eine Entschädigung für ihr Leid. Im Rahmen der 76. Befreiungsfeier in der Gedenkstätte Ravensbrück wurde am 18. Oktober 2021 ein Gedenkzeichen für diese Frauen eingeweiht. Auch in dem Konzentrationslager Dachau werden sie in einer Ausstellung erwähnt.
Ich möchte durch die Geschichte von Marianne und Else dazu beitragen, dass dieses Verbrechen nie wieder in Vergessenheit gerät. Vor allem jedoch nie wieder geschieht.
Leseprobe
Es war noch früh am Morgen. Der Himmel zeigte sich in rötlichen Farben. Ein paar Wolken zogen über mir hinweg. Tief atmete ich die salzige Luft ein und ließ meine Blicke in der Ferne über die sanften Wellen wandern. Es war Ebbe, und das Meer hatte sich zurückgezogen. Je näher ich dem Wasser kam, desto lauter wurde die Brandung, die ans Ufer schwappte. Ich sah kurz hinauf zu den Möwen, die laut kreischend über mir ihre Kreise zogen. Irgendwann würde es besser werden. Hier auf Norderney war der perfekte Ort, um zur Ruhe zu kommen.
***
»Was macht denn dieser Typ da?« Ich sprang auf und beugte mich über den Tisch. Ein großer kräftiger Kerl in Jeans und Sweatshirt stapfte durch den Sand um das Haus herum und machte Fotos. Ich wich zurück, als er auch noch von außen seine Nase an das Fenster drückte, um hineinzusehen. Von Stalkern hatte ich die Nase gestrichen voll. Wutschnaubend lief ich zur Haustür, riss sie auf und trat hinaus in die Sonne. »Hey, geht es noch?«, blaffte ich den jungen Kerl an, der sich erstaunt zu mir umdrehte. »Sie können hier doch nicht einfach herkommen und Fotos machen. Haben Sie schon mal was von Privatsphäre gehört?«
»He.«
»Was denn he? So wie Sie aussehen, kennen Sie das Wort Privatsphäre nicht. Packen Sie gefälligst Ihre Kamera und machen Sie einen Abflug.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, während er mich nicht aus den Augen ließ.
»Du kommst nicht von hier, das ist klar.«
»Ach ja? Und wenn doch?« Ich funkelte ihn an.
Zugegeben, er sah nicht schlecht aus. Seine blonden Haare und wasserblauen Augen passten zu dieser Insel wie der Sand zum Meer. Aber dieser provokante Blick, mit dem er mich nun ansah, brachte mich auf die Palme.
»Wenn du hier leben würdest, wüsstest du, dass „he“ so viel wie Moin oder Hallo bedeutet. Er streckte mir die Hand entgegen. »Ich heiße Jakob Rass und arbeite für eine Norderneyer Zeitung.
***
Die Sonne hatte sich gesenkt und nur ein paar Strahlen lugten unter der Wolkendecke hervor. Es roch nach Regen und Strand. Schnell stellte ich das Fahrrad ab und eilte zur Haustür. Dabei fiel mein Blick auf den blauen Briefkasten. Was war das denn? Ein vergilbtes Stück Papier lugte unter der Klappe hervor. Neugierde überfiel mich, also zog ich den Briefumschlag heraus. Er war an eine Frau Namens Marianne Jansen gerichtet. Die Adresse stimmte überein, aber es gab keinen Absender. Ich versuchte, den Ort und das Datum des Poststempels zu entziffern. Hamburg 1946. Himmel, dieser Brief war über siebzig Jahre alt. Er schien noch unversehrt und nicht geöffnet worden zu sein. Wie war das möglich? Warum hatte es so lange gedauert, ihn zuzustellen, und wer waren die Empfängerin und der Absender?
***
»Wenn du dich nicht traust, komme ich zu dir und mache ihn für dich auf.«
Kurz dachte ich nach und hört mich schließlich sagen: »Ja, einverstanden, ich warte auf dich.« Einige Zeit später stand er in meiner Küche. Vorsichtig hatte er mit Wasserdampf den Kleber des Umschlags gelöst und ihn geöffnet.
»Geschafft!« Er sah mich strahlend an. »Willst du, oder soll ich?«
»Himmel, ich halte es kaum aus, aber mach du.«
Vorsichtig zog er ein Stück Papier heraus. Es war etwas vergilbt, wie der Umschlag. Langsam faltete er das Blatt auseinander. Die Zeilen waren in altdeutscher Schrift, der sogenannten Sütterlinschrift, verfasst.
»Kannst du das lesen?«, fragte Jakob?
»Ja, ich denke schon. Meine Oma hat auch noch so geschrieben und es mir beigebracht.«
»Na, dann lies es vor. Ich denke, das kannst du dann wohl besser.«
Ich war mir immer noch unsicher, als er mir das Schriftstück gab. »Denkst du, das ist wirklich richtig, dass wir das machen?«
Jakob zog die Augenbrauen hoch. »Ist das dein Ernst? Willst du etwa kneifen?
1944
Marianne schaute auf die Uhr. Wo blieb sie nur? Zwanzig Minuten später war sie immer noch nicht da. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen. Sie hatte keine Ruhe mehr, daher machte sie sich auf den Weg zu dem Haus, in dem Else arbeitete. Als sie um die Ecke bog, blieb sie abrupt stehen. Vor dem Haus stand ein schwarzer Wagen. Zwei uniformierte Männer waren damit beschäftigt, Else in das Auto zu zerren. Mariannes Herz überschlug sich und jagte das Adrenalin durch ihren Körper. Was geschah da nur direkt vor ihren Augen? Warum nahmen diese Männer Else mit? Hatte sie vielleicht wieder eine ihrer spitzen Bemerkungen über die Nazis fallen lassen oder war sie vielleicht zu vorlaut gewesen? Es war schon öfter vorgekommen, dass sie ihre Zunge nicht hatte im Zaum halten können. Nur allzu oft hatte Marianne sie davor gewarnt.
***
Eine halbe Stunde später schien ihr das Blut in den Adern zu gefrieren, als der Polizeibeamte ihr mitteilte, dass man ihre Freundin Else wegen Diebstahls in das Frauenlager Ravensbrück gebracht hatte.
»Von da kommt niemand zurück«, erklärte er sachlich und trank einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
Marianne spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen und die Sorge um ihre beste Freundin sie wie eine Welle zu überrollen schien. Die Worte des Polizeibeamten brannten sich tief in ihr ein. Was hatte das zu bedeuten? Panik erfasste sie, gemischt mit dem Gefühl völliger Hilflosigkeit.
»Aber sie ist unschuldig!«, stieß sie hervor.
»Das sagen sie alle. Es liegen Beweise vor, und daran lässt sich nicht rütteln, mein Fräulein. Hier können Sie nichts mehr ausrichten.«
Verzweiflung erfasste sie. Marianne wollte und konnte sich damit nicht zufriedengeben. Es musste doch eine Möglichkeit geben! Selbst wenn sie einen weiteren Versuch unternehmen würde, alles zu erklären und Else zu verteidigen, wäre das zwecklos gewesen, das spürte sie. Draußen vor der Tür blieb sie stehen und sah hinauf zum Himmel. Die Sonnenstrahlen taten gut, und wärmten ihren eiskalten Körper. Das konnte nicht das Ende sein, irgendeine Lösung musste es geben. Keinesfalls würde sie aufgeben und Else im Stich lassen, niemals!
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