Wenn die Liebe auf die Grausamkeiten des Lebens trifft, muss sie sich beweisen: Hält sie ihnen stand oder verschließt sie die Augen vor der Realität?
Dass die frisch sitzengelassene Elena ihre Hochzeitsreise nun alleine antritt, scheint ein echter Glücksfall zu sein, als sie Gabriel kennenlernt. Der charismatische Arzt fasziniert sie, und während Elena mit ihm die atemberaubenden Vulkanlandschaften Siziliens erkundet, stehen ihre Gefühle auf einmal Kopf.
Aber die Insel zeigt ihr nicht nur die schönen Seiten des Lebens, sondern konfrontiert Elena auch mit den schonungslosen Fakten zu den Flüchtlingen, die hier auf ihre Weiterreise ausharren. Sie beschließt, Gabriel zu seiner Arbeit in ein Flüchtlingslager zu begleiten, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen.
In Windeseile holt sie die Realität der dort Gestrandeten ein. Als plötzlich ein schwerwiegender Vorwurf im Raum steht, finden sich Elena und Gabriel auf gegensätzlichen Seiten wieder, und Elena muss sich mit einer bitteren Frage auseinandersetzen: Ist Gabriel wirklich der Mann, für den sie ihn gehalten hat?
Was hat mich inspiriert?
Sizilien kennen viele von euch wahrscheinlich nur im Zusammenhang mit der Mafia. Vielleicht aber auch durch Berichte über die Flüchtlingslager auf Lampedusa und in Pozzallo. Die wenigsten jedoch wissen sicherlich, wie atemberaubend die Landschaft dort ist. Mir ging es ebenso, bis ich vor einigen Jahren mit meiner Freundin Denise einen Urlaub dort verbracht habe. Ich war sofort fasziniert von dem kleinen Städtchen Taormina, das an einem Berghang direkt am Meer liegt.
Den traumhaften Ausblick von dem alten, antiken Theater aus, auf den Ätna, werde ich wohl niemals vergessen. Nur wer selbst dort oben war, weiß, was für ein unglaubliches Gefühl es ist, auf einem aktiven Vulkan zu stehen.
Ein weiteres Highlight dieser Reise war für mich ein Ausflug zu den vorgelagerten „Liparischen Inseln“. Eine davon ist Vulcano, die habt ihr ja bereits in meiner Geschichte kennengelernt. Ihr merkt, ich kann kaum meine Begeisterung zügeln, daher nur noch kurz, Sizilien ist auf jeden Fall eine Reise wert.
Nachdem ich mich entschieden hatte, in meiner Geschichte das Thema Flüchtlinge aufzugreifen, begann ich mit der Recherche. Viele Dinge wusste ich, doch viele Tatsachen auch nicht. Ein Teil davon verursachte mir Gänsehaut und ich fragte mich, was ein Mensch in der Lage ist, auszuhalten. Ich habe Berichte und Interviews gelesen, außerdem ein Buch über die Flucht eines jungen Mannes. Wie so viele vor ihm, wählte auch er mithilfe von Schlepperbanden, den Weg durch die Wüste bis Libyen, und dann weiter über das Mittelmeer bis Sizilien. Er hat überlebt im Gegensatz zu Tausenden anderen. Die körperlichen, aber vor allem die seelischen Wunden, die diese Menschen mit sich tragen, werden wohl niemals so wirklich verheilen. Warum ich ausgerechnet dieses Thema gewählt habe? Gerade in den letzten Jahren nehmen die Flüchtlingsströme immer mehr zu und die Politiker der Länder haben bislang noch keine optimale Lösung dafür gefunden. In mancherlei Hinsicht sind sie sicherlich überfordert, aber auch machtlos gegen das Regime der Länder, aus denen die Menschen flüchten. All die Gefahren in Kauf zu nehmen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können, ist alles andere als einfach. Ebenso sein Hab und Gut, Freunde und einen Teil der Familie zurückzulassen mit dem Wissen, sie wahrscheinlich nie wiederzusehen. Viele von ihnen haben Berufe gelernt oder hatten eigene Firmen und Geschäfte. In den Ländern, die sie aufnehmen sind sie jedoch nur Flüchtlinge, die zudem oftmals aufgrund ihrer Hautfarbe und Sprache wie Aussätzige behandelt werden. Wer von uns hat in diesem Zusammenhang nicht schon Sätze gehört wie: „Die kommen hierher und bekommen alles geschenkt, sollen die doch arbeiten.“ Dann wiederum: „Die nehmen uns unsere Wohnungen und die Jobs weg, sollen die doch zurückgehen in ihre eigenen Länder. “ Was das jedoch bedeutet, kann sich kaum jemand von uns vorstellen. Auch nicht wie es ist, mit fremden Menschen auf engstem Raum zu leben, die nicht nur verschiedene Nationalitäten oder Religionen angehören, sondern dessen Länder vielleicht auch noch im Krieg miteinander stehen. Eskalationen sind vorprogrammiert, die wiederum neue Ängste schüren. Wann hört das auf? Ich hoffe, das meine Geschichte dazu beiträgt, den ein oder anderen zum Nachdenken zu bewegen und diese Menschen in Zukunft einmal mit anderen Augen zu sehen. Über etwas zu urteilen ist einfach, sich jedoch mit Tatsachen auseinanderzusetzen, alles andere als das. Geben wir ihnen doch die Chance sich zu integrieren, um wie wir, ein relativ sichereres Leben zu führen. Nur miteinander sind wir in der Lage, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.
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Endlich war ich zurück. Eine gewisse Sentimentalität überkam mich und ließ mich schlucken. Ich musste an all das denken, was hinter mir lag. Hier zu sein würde mir guttun. Schon jetzt, in diesem Augenblick fühlte ich mich auf sonderbare Weise befreit. Mein Cousin hatte recht, das Leben war zu kurz, um der Vergangenheit hinterherzutrauern. Vorsichtig schob ich die luftigen Gardinen zur Seite, öffnete die Tür und trat hinaus. Der Ausblick ließ mein Herz schneller klopfen. Da lag er majestätisch vor mir, der Ätna, den ich, wie viele andere Einheimische auch, liebevoll ›Mongibello‹ nannte, den Berg der Berge. Durch das mineralstoffreiche Lavagestein entstanden immer wieder neue unvergleichbare Vegetationen. Dieses Mal würde mich nichts davon abhalten, zu ihm hinaufzufahren.
Plötzlich spürte ich an meinen nackten Beinen etwas Kaltes und Feuchtes. Für einen Moment zuckte ich vor Schreck zusammen und sah hinunter. Vor mir saß ein mittelgroßer Hund, der freudig mit dem Schwanz wedelte. Als ich entdeckte, dass er auf der einen Seite nur ein halbes Ohr besaß, zog sich mein Herz zusammen. Ich ging in die Hocke und kraulte ihn sanft. »Na, du Hübscher, was ist dir denn widerfahren? Wo sind denn deine Besitzer?«, fragte ich weiter, obwohl ich wusste, dass ich keine Antwort bekam. Offenbar hatte er Durst, und mir ging es ähnlich, daher entschloss ich mich, in das Café Wunderbar zu gehen, das älteste in Taormina. Schnell fand ich einen freien Tisch.
So, das wäre geschafft, nur wo war der Hund geblieben? Ich sah mich um und entdeckte ihn schließlich. Er stand ein paar Meter weiter vor einem Tisch, an dem ein sehr attraktiver Mann mit kurzem dunklen Haar und Sonnenbrille saß. Er trug ein weißes T-Shirt, cremefarbene Shorts und dazu Flipflops. Noch nie zuvor hatte ich einen Mann Flipflops tragen sehen, aber was mir direkt ins Auge stach, waren die geheimnisvollen Maori-Tattoos am rechten Arm und an einem Teil seines Halses. Wie konnte man sich nur so verunstalten? Ich fand Tattoos nicht gerade toll, sondern zählte eher zu den Frauen, die diesen Körperkult ablehnten und ihn klischeehaft als bedrohlich empfanden.
Ob ihm der Hund gehörte?
Der Weg bestand aus Schotter und Stufen, das Geländer aus Holz.
Oliven- sowie Zitronenbäume säumten den Weg, und die Grillen im trockenen Gestrüpp auf der Erde zirpten laut um die Wette. Es duftete herrlich süßlich, und mittlerweile waren die Temperaturen deutlich angestiegen. Zum Glück hatte ich leichte Turnschuhe angezogen und nicht, wie ich erst vorgehabt hatte, meine Sandalen. Gabriel lief mit Pino vor mir. Er trug ebenfalls Turnschuhe sowie eine kurze Jeans und ein weißes Hemd. Auf seiner braungebrannten Haut kamen die Tattoos gut zur Geltung, ebenso die darunterliegenden Narben. Langsam hatte ich mich an den Anblick gewöhnt, doch ich fragte mich ernsthaft, was ihm wohl passiert war.
»Lass sie runter, sofort!«, sprach Gabriel, Alessio an und warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Hey, ich habe nur Spaß gemacht«, erwiderte er und wirkte plötzlich verunsichert. »Ich kenne ihren Cousin sehr gut, er ist mein Freund und meinte, sie würde etwas Spaß gut gebrauchen können. Ich tue ihr doch nichts, bitte nimm deinen Hund da weg.«
»Erst, wenn du sie runterlässt. Glaub mir, seine Zähne sind rasierklingenscharf«, warnte Gabriel ihn.
Mein Herz klopfte wie wild, und ehe ich mich versah, hielt Gabriel mich in seinem Arm. Alessio hatte mich einfach an ihn weitergereicht.
»Dann trag du sie zurück zum Ufer, bevor dein Hund mich noch zerfleischt.« Er sah mich reumütig an. »Es tut mir wirklich leid, Elena, es sollte nur Spaß sein, ich schwöre es dir.«
Erst jetzt wurde mir so richtig Gabriels Nähe bewusst.
»Ist alles okay, Elena?«, fragte er und sah mich besorgt an, während ich in seinen wasserblauen Augen zu ertrinken drohte.
»Ähm, ja, es geht mir gut, vielen Dank.«
Wir standen bewegungslos inmitten des seichten Flussbettes, dessen strömendes Wasser Gabriels Beine umspülte. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben. Ich spürte diese unerklärliche Anziehungskraft, die von ihm ausging, dann seine Blicke, die mir ein Kribbeln in der Magengegend bescherten.
Pinos Bellen setzte diesem Augenblick ein Ende. Er lief unruhig am Strand hin und her. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er bereits aus dem Wasser gelaufen war.
»Ich glaube, unser Typ wird verlangt«, meinte Gabriel schließlich und bewegte sich aufs Ufer zu.
»Danke für die Rettung, zum zweiten Mal«, flüsterte ich, als ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte.
Er lächelte. »Gern geschehen, aber das sollte besser nicht zur Gewohnheit werden.«
Mein Herz hämmerte heftig in meiner Brust. Auf einen Streit mit ihm war ich nicht vorbereitet. Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er hingegen blieb bewegungslos stehen.
»Bitte, Gabriel, glaub mir, du bist mir wichtig, sehr sogar. Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, dass ich dich verlassen muss. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich sofort entscheide und Ja sage. Auch wenn wir im Hier und Jetzt leben, brauche ich Zeit und muss darüber nachdenken. Ich weiß einfach so wenig von dir. Bitte, sei mir nicht böse und verlange nicht heute eine Entscheidung von mir. Ich bin überfordert und habe nicht damit gerechnet, dass ich mich Hals über Kopf in dich verliebe.«
Seine Gesichtszüge wurden weicher, und die Anspannung ließ etwas nach. Dann spürte ich seine Hände auf meinen Hüften.
»Ich muss dir widersprechen, Elena, du hast dich nicht in mich, sondern in ein gebrochenes Herz verliebt. Verstehst du, was ich dir damit sagen möchte? Es ist alles nicht so einfach, wie du vielleicht denkst, deshalb fällt es mir schwer, über die Vergangenheit zu sprechen. Ich habe mich auch in dich verliebt. Seit Langem empfinde ich wieder so etwas wie Liebe. Mein Herz war erstarrt und ließ niemanden an sich ran. Du jedoch bist auf dem besten Weg, diese Mauer einzureißen, die ich um mich herum errichtet habe. Da ist es doch verständlich, dass ich dich bei mir behalten möchte.«
Die Brandung knallte donnernd auf den Strand, und die weiße Gischt spritzte von den hohen Wellen empor. Das Meer war wild und ungebändigt, so wie Gabriel, wenn ihn das pure Verlangen erfasste. Von Weitem sah ich den Hafen von Pozzallo, in dem die Boote von dem starken Wellengang hin und her schwankten.
»Dort drüben kommen die Schiffe an mit den Flüchtlingen«, erklärte Gabriel weiter und zeigte zu einem leeren Platz an der Kielmauer.
»In den Sommermonaten ist es hier besonders schlimm. Abgesehen von heute und an wenigen anderen Tagen ist das Meer ruhig, sodass die Gefahr, zu kentern, geringer ist. Dennoch kommt es zu Unglücken während der Überfahrt von Libyen hierher. Ich hatte dir ja schon erzählt, dass die Schiffe nicht sehr seetauglich und meist maßlos überladen sind. Mir lief ein Schauer über den Rücken bei Gabriels Erzählungen. Hier direkt vor Ort zu sein und seinen Geschichten zu lauschen, bedrückte mich. Diese Menschen begaben sich in enorme Gefahren, um irgendwo in einem anderen Land ohne Ängste, Gewalt, Armut und Krieg ein normales Leben führen zu können. Wie schlimm musste es in ihrer Heimat sein, dass man ein solches Risiko einging?
Wir kamen dem Hafen näher. An der Seite auf einem abgezäunten Grundstück lagen jede Menge verwitterte Holz- und Schlauchboote, außerdem Schwimmwesten und Müllsäcke.
»Das sind die Boote, mit denen sie übers Meer kommen«, erklärte Gabriel. »Sie werden hier gelagert und verrotten. Meist sind sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Jedes Schiff kann seine ganz eigene Geschichte erzählen.
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